Come away with me in the night
Sie drückt die halb aufgerauchte Zigarette in den Aschenbecher und sinkt langsam in dem knarrenden Gartenstuhl zusammen. Sie blickt bloß starr über die Dächer und versucht gar nicht erst, die Tränen zurückzuhalten. Ihre Gesichtszüge regen sich nicht einen Millimeter und während irgendwo, zwei oder drei Stadtteile weiter, ein Motor aufheult, wissen wir beide, dass unsere Geschichte in dieser Nacht enden wird. Ohne, dass sie je wirklich eine Chance hatte, zu beginnen.
Nur wenige Stunden zuvor waren wir uns wieder einmal in meiner Lieblingsbar über den Weg gelaufen. Sie hatte ihre beste Freundin im Schlepptau, ich meinen besten Kumpel. Sie wolle gar nicht ausgehen, hatte sie gesagt. Ganz zwanglos schrieben wir hin und wieder, trafen uns nur noch selten. In ein paar Wochen, vielleicht Monaten, wäre es mir wahrscheinlich auch wieder gut damit gegangen. Aber nachdem sie wusste, dass Sebastian und ich heute wieder in der Kneipe sein würden, wollte Sarah, ihre beste Freundin, plötzlich auch unbedingt ausgehen. Und auf einmal begegneten wir uns in einer Stadt mit mehr als einer Million Einwohnern ganz zufällig wieder in derselben winzigen Bar.
Come away with me
and I will write you a song
„Ich hab keine Lust, hier drei Tische weiter zu stehen und so zu tun, als wären die beiden nicht da.“ Sebastian bemühte sich selten, seine Vorwürfe unterschwellig anzubringen aber für mitleidvolle Floskeln war ich auch nicht mit ihm befreundet. „Entweder wir gehen oder wir nehmen unsere Gläser und stellen uns dazu.“ Er wusste, dass ich nicht gehen würde, deshalb hatte er sein Glas schon in der Hand. Seit fast einem halben Jahr kam ich von dieser Frau nicht los, das würde sich heute Abend nicht plötzlich ändern.
Es war ein peinliches Gestammel bei dem keiner wusste, ob sich Nina und ich oder unsere Begleiter unwohler fühlten. Wir hielten uns krampfhaft an unseren Longdrinks fest und hangelten uns von Smalltalk zu Belanglosem. Zum Glück war die Musik untypisch laut. Jeder Versuch, ihr näher zu kommen, wurde von strafenden Blicken unterbunden. Es war schon zu viel passiert, das wussten alle an diesem Tisch. Aber auch deshalb gab es kein Zurück, schon lange nicht mehr. Zumindest nicht für mich.
And I wanna walk with you
on a cloudy day
Noch bevor mir Sebastian schreiben kann, dass ich gefälligst nach Hause gehen soll, finde ich mich schon zwischen drei losen Teelichtern und den Klängen von Norah Jones auf der Dachterrasse ihrer Vier-Zimmer-Wohnung wieder.
„Er ist nicht da. Geschäftsreise nach Toulouse.“ Sie sagt es so abwehrend, als gehöre ich auch schon zu denen, die ihr ins Gewissen redeten.
Ich sollte mich sicher schlecht fühlen, mit seiner Freundin auf seinem Balkon zu sitzen. Aber das tu ich nicht.
„Trinken wir wieder den leckeren Roten aus Spanien vom letzten Mal?“
Ich kann nicht über ihn reden, ich will nicht über ihn reden. Lieber über uns und das letzte Mal. Das einzige Mal. Das mir seitdem nicht aus dem Kopf geht.
„Klar. Wasser dazu?“
„Ja, gerne. Bring ruhig ’ne ganze Flasche mit.“
„Kannst dich ja schon mal nach draußen setzen.“
Die Nervosität lässt meine Knie ein wenig zittern. Ich will, dass alles perfekt ist, will, dass sie sich wohl fühlt mit mir in ihrer Nähe. Auch, wenn sie eigentlich mit ihm hier lebt.
„Das Wetter ist echt der Wahnsinn für Oktober. Ich könnt mir den Sternenhimmel die ganze Nacht angucken.“ Ich rutsche etwas nach vorn, um meinen Kopf auf die Rückenlehne des Holzstuhls zu legen.
Sie schweigt. Wir schweigen. Sie zündet sich eine Zigarette an und ihr Seufzen ist wie ein Vorwurf. Dabei hatte sie mich gefragt, ob ich noch mit hochkommen will. Zehn Minuten kein einziges Wort.
Come away with me and we’ll kiss
„Warum bleibst du noch bei ihm? Bei allem, was da zwischen uns ist?“ Ich ertrage die Stille nicht, die Ungewissheit zermürbt mich. Sie nimmt einen Schluck Wein so groß, als müsse sie sich Mut antrinken für die Antwort.
„Was ist denn zwischen uns? “
„Ich… ich will nicht mehr ohne dich sein. Und ich kann es auch nicht!“
„Du kennst mich doch gar nicht.“
Mein Magen zieht sich zusammen. Wieso spielt sie es immer wieder so runter? „Nina, du kannst mir doch nicht erzählen, dass dir das vor zwei Wochen nichts bedeutet hat.“
„Das hätte nicht passieren dürfen.“
„Ist es aber. Und das bedeutet auch was!“
„Und woher willst du das wissen?“
„Ich weiß es einfach. Nina, ich liebe dich!“
Wieder schweigen wir.
„Und so etwas passiert nicht, wenn man glücklich ist in seiner Beziehung.“ Ich will eine Reaktion, eine Emotion. Irgendetwas.
„Du gehst ständig davon aus, dass ich ihn nicht mehr liebe. Aber ich bin immerhin mit ihm zusammen, lebe mit ihm zusammen.“ Ihre Stimme wird laut und wütend.
„Du gibst ja auch keinen Anlass, was anderes zu denken. Du sprichst es ja nicht mal aus!“
„Nein, genau das stimmt eben nicht. Das fasst du nur jedes Mal so auf. Ich hab das Gefühl, dass ich mich jedes Mal rechtfertigen muss vor dir.“
Come away with me
and I’ll never stop loving you
„Okay, tut mir leid. Es… es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen.“ Ich will Harmonie, ich will sie berühren, sie küssen.
„Ach vergiss es.“
„Ich will mit dir zusammen sein, so viel weiß ich. Und du willst es auch.“
„Wie soll denn das gehen?“ Das ist kein Widerspruch.
„Du verlässt ihn, ziehst zu mir und wir beide werden verdammt glücklich. Ganz einfach.“
Stille, schon wieder. Minutenlang. Sie zündet sich die nächste Zigarette an, ich rauche auch eine. Ich bringe es nicht fertig, noch mehr zu sagen, sie noch direkter nach ihren Gefühlen zu fragen.
„Wir fliegen nächsten Monat nach Neuseeland.“ Sie bläst den Qualm ausdruckslos in den Nachthimmel.
Das weiß ich und ich verstehe den Einwand nicht, den sie so endgültig formuliert, als sollte es mir irgendetwas sagen. Will sie das Geld für das Flugticket nicht in den Wind schießen? Ist sie jetzt zu geizig, um ihn zu verlassen? Und dann verstehe ich es. Und es trifft mich wie ein Schlag.
„Du denkst, er macht dir einen Antrag.“
Wieder nimmt sie einen großen Schluck aus ihrem Glas. „Keine Ahnung, vielleicht.“
„Und, was würdest du sagen?“
Wieder blickt sie reglos in die Luft. Mit jeder Sekunde, die sie nichts sagt, wird das Stechen in meinem Bauch schlimmer. Und dann antworten ihre Tränen. Und ich weiß, dass ich nicht länger hier bleiben kann.
Come away with me