Ich schlich die Straße entlang und zog zwei- oder dreimal ungewöhnlich lang an meiner Zigarette. Ich blies den Rauch gedankenversunken in den Himmel und blickte ihm nach, wie er sich verflüchtigte. Ich wollte etwas fühlen, ich wollte irgendetwas anderes fühlen und nahm einen weiteren Zug. Eigentlich hatte ich vor mehr als drei Jahren mit dieser Scheiße aufgehört. Solche Situationen eignen sich wohl am besten, um wieder anzufangen. Zumindest läuft das im Film immer so. Nach so einer scheiß Nacht braucht man erst einmal eine Zigarette. Und ich war schon bei der Vierten.
Die Abendsonne bot ein seltsames Farbenspiel am Himmel, in dem sich Hellblau und Dunkelorange vermischten. Für sich genommen eigentlich eine romantische Atmosphäre und es passte so gesehen alles ganz gut zusammen. Die Dämmerung, die laue Sommerluft, ein Typ, der grübelnd den Fußweg hinunterschlendert. Nur, dass diesem Typ der Sinn nicht nach Romantik stand, sondern zum Kotzen zumute war. Eigentlich nur metaphorisch gesprochen, aber kaum hatte ich diesen Gedanken zuende gedacht, wurde mir tatsächlich speiübel. Was als leichtes Ziehen in der Magengegend begonnen hatte, war mittlerweile in alle Organe vorgedrungen und schien jedes Einzelne der Reihe nach auszuquetschen wie eine reife Zitrone. Ich fing an zu wanken und zu torkeln und ich übergab mich mitten auf die unbefahrene Straße. In meinem verschwommenen Blickfeld war weit und breit niemand zu sehen und trotzdem vernahm ich von irgendwoher ein indezentes Tuscheln. Wahrscheinlich zwei alte Weiber, denen der kotzende Spinner in ihrem langweiligen Hausfrauenleben gerade recht kam. Was wissen die schon.
Als ich mich wieder gefangen hatte, war ich schon zwei Blocks weiter getaumelt. Die Übelkeit ließ langsam nach aber das Ziehen in der Magengrube bohrte sich weiter bis in jede Zelle meines Körpers vor. Ich wollte es stoppen, wollte an etwas anderes denken, aber meine Gedanken kreisten weiter und weiter um diesen elenden Hurenbock, dessen Visage ich keinem als Spiegelbild wünsche. Ein ekelhaftes, selbstgefälliges Grinsen, das es einem schwer macht, zu glauben, dass ihm die Frauen in der Vergangenheit so zahlreich verfallen waren. Die wenigen, hässlich blonden Haare, die sich um seine Geheimratsecken warfen, trieften vor Haargel und eigneten sich vermutlich prächtig für eine dieser Drei-Wetter-Werbungen, wenn nur diese Visage nicht so hässlich wäre. Ich mischte die aufkochende Wut unter meine Magenkrämpfe und boxte energisch gegen eine Birke am Wegrand. Dabei vergaß ich, dass ich immer noch meine Zigarette – mittlerweile wahrscheinlich die Siebte – in meiner Schlaghand hielt und zerdrückte sie zwischen Baum und Knöchel. Die Verbrennung am Zeigefinger kam mir dabei nur gelegen, lenkte sie mich doch von den Magenkrämpfen ab und schürte meinen Hass.
Mit der Zeit hatte ich Straßen erreicht, in denen ich zuvor vermutlich niemals zu Fuß unterwegs gewesen war. Ich marschierte ziellos durch die Stadt, erst langsam, dann immer energischer. Ich wollte weg, obwohl ich vor gar nichts davonlief. Wurde immer schneller, immer wütender. Was wohl passiert wäre, wenn ich seine Adresse gekannt hätte. Ich sah ihn immer wieder vor mir wie er mit seinem widerwärtigen Grinsen nur da stand und triumphierte. Wie er lachte, wie er mich auslachte und das Ziehen wurde wieder stärker. Ich ertrug den Gedanken nicht, wo er gerade war, bei wem er gerade war und mit jedem weiteren Gedanken setzte die Übelkeit wieder ein und ich brach ein zweites Mal mitten auf die Straße. Dieses Mal kein Tuscheln und auch, wenn beim ersten Mal vermutlich schon niemand getratscht hatte, hätte ich dieses Mal wohl wahllos in die Abenddämmerung hinausgebrüllt, wenn ich auch nur geglaubt hätte, irgendwelche Stimmen zu vernehmen.
Die Nacht kam immer näher und im Dunkel sah alles gleich aus. Überall stand er, überall sah ich ihn, wie er mir seinen Triumph ins Gesicht schlug und ich wollte ihm ins Gesicht schlagen, wollte sie alle schlagen wie sie dastanden und grinsten. Der Gedanke daran, wie er sie im Arm hielt, holte mich von den Beinen. Ich fiel der Länge nach hin und schlug mir beide Ellenbogen auf. Ich sah, wie er sie küsste, wie er seine Trophäe in den Händen hielt und zu seinem Eigentum machte. Ich würgte, hatte aber schon längst nichts mehr als Säure im Magen. Ich heulte und brüllte zugleich und wollte den Gedanken an die beiden für immer auskotzen.
Ich wollte sie hassen. Ich wollte auch sie hassen – dafür, dass sie die Nächste war, die ihm auf den Leim gegangen war. Dass sie ihn mir vorzieht und lachend in ihr Verderben rennt. Ich wollte sie hassen aber ich konnte es nicht. Ich konnte es nicht. Nicht deshalb, weil sie bezaubernd war, sondern, weil sie schuldlos war. Ich saß mitten in der Nacht auf einem scheiß Fußweg und begriff, dass auch er schuldlos war und ich selbst der Kerl war, den ich hasste. Denn ich hatte es schon viel früher verbockt, ich ganz allein. Er hatte sich bloß genommen, was ich nicht festzuhalten in der Lage gewesen war. Ich hatte sie schon viel früher verloren.